Pferde auswildern

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Pferde auswildern

Beitrag von Curly » Sa 3. Jul 2010, 14:21

Moin moin!

Eine Userin erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit ihr Pferdchen abgeben musste.
Es kam auch zu einem guten Platz.
Allerdings kam die neue Besitzerin wohl nicht so recht mit dem Pferdchen klar und
schrieb ihr, dass sie das Pferd auswildern lassen will.

Darf man sowas in Deutschland?
Wenn ja wo?
Und geht das überhaupt?
Habt ihr Tipps oder Wissen zu dem ganzen Thema?

Gruß,
Curly



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Re: Pferde auswildern

Beitrag von Rennmaus » Sa 3. Jul 2010, 14:52

Was, Pferde auswildern?!
Also ich kenn nur irgendwo in Deutschland gibts doch die Dülmener Wildpferde (glaub das heisst auch Dülmener Heide oder sowas wo das is...), un da leben die im Prinzip wild. Zum Verkauf werden dann immer ma welche rausgefischt, ähnlich wies in Island gemacht wird sag ich ma.
Aber da sin ja nur diese Pferde, nur die eine Rasse.
Was anderes gibts es meiner Meinung nach nicht...



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Re: Pferde auswildern

Beitrag von Murx Pickwick » Sa 3. Jul 2010, 18:03

Ja, man darf Pferde "auswildern" ...

Viele Naturschutzgebiete verwalden langsam, da muß was getan werden - und hier geht endlich, ENDLICH, gewissen Leuten ein Licht auf, daß eventuell unsere Tierhaltung, wie wir sie betreiben, einfach nur bescheuert ist!

Pferde kommen mit verwildertem Gelände prima klar, es ist KEINE Tierquälerei, die Pferde in weitläufigem Gelände absolut frei laufen zu lassen, ohne Stall, ohne tägliche Kontrolle, nur mit den üblichen jährlichen Kontrollen von wegen Parasiten und Fitness (wird auch bei den Dülmener Wildbahnpferden gemacht logischerweise) ... für das Gelände haben die Pferde wiederum den Vorteil, daß durch die Trittschäden schnell wachsende Pflanzen, insbesondere Büsche und Bäume, niedergehalten werden und die Pferde junge Bäume und schnell sich ausbreitende Pflanzen, die alles zu einer Monokultur machen würden, verbeißen. Diese Trittfluren genannten Landschaftsbilder sind dann Vorstufen zu Steppenlandschaft - und das brauchen wiederum viele andere Tiere, wie beispielsweise die hier in Deutschland fast vollständig ausgestorbenen Großtrappen oder die hier schon seit Römerzeit eingeführten Fasane.

Weitere Tierarten werden für solche Naturschutzprojekte nun schon seit Jahren getestet: Ziegen, Schafe, Rinder und sogar Schweine, Wasserbüffel ... genau bei solchen Projekten stellt sich nun immer mehr heraus, daß die Tiere nicht nur freilebend in unsere Landschaft gehören, da wir ziemlich erfolgreich ihre Wildformen ausgelöscht haben, sondern daß all diese Haustiere sich in freier Natur genauso wie ihre wilden Vorfahren einfügen. Sie gehören ausgewildert in unsere Landschaft! Das ist die neue Art der Tierhaltung - wieder im Einklang mit der Natur, aber den Service der medizinischen Behandlung im Ernstfall für die Tiere und für uns der Nutzen der Tiere ...



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Re: Pferde auswildern

Beitrag von RuJo » Sa 3. Jul 2010, 18:36

Murx Pickwick hat geschrieben:Ja, man darf Pferde "auswildern" ...
Viele Naturschutzgebiete verwalden langsam, da muß was getan werden
...wobei das ein ganz natürlicher Prozess in mitteleuropäischen Breiten ist. Eigentlich sind diese großen offenen Flächen und selbst die so schützenswerten Trockenrasen (fast...wenige Ausnahmen an Extremstandorten)allein Produkt des Menschen hierzulande. Trockenrasen haben nur durch extensive Landwirtschaft hierzulande entstehen können, und da diese zunehmend am aussterben ist, würden auch die Trockenrasen mehrheitlich verschwinden.
Warum und wieso und ob der Mensch nun diese (ohne Frage) besonderen Biotope schützen sollte, ist natürlich diskutabel. Deutschland ist eigentlich Waldland.

Es gibt durchaus eine Rige von Naturschützern (Stichwort Prozessschutz), die das ganz anders sehen...
Und da ist es im Prinzip ganz natürlich, dass zB die Großtrappe irgendwann wieder verschwinden würde. Ursprünglich kam sie hierzulande ja auch gar nicht vor...erst mit den Waldrodungen im Mittelalter und dem Trockelegen von Mooren fand sie hierzulande Lebensraum...


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Re: Pferde auswildern

Beitrag von Murx Pickwick » Sa 3. Jul 2010, 19:08

Die Verwaldung, die vorher stattgefunden hatte wiederum, ist auch ein Produkt des Menschen, denn durch ihn starben eine ganze Reihe von Tierarten aus, welche zur Versteppung beitrugen:
Auerochs, Tarpan, Mammut, Wollnashorn, Riesenelk, Wisent und viele weitere großen Weidegänger wurden schon vor den Römern ausgerottet oder aber stark dezimiert und dann in neuerer Zeit ausgerottet - erst dadurch konnten die europaweiten Buchenwaldmonokulturen und Eibenmischwälder entstehen, welche dann wieder den Römern und, was die Eiben angeht, den Rittern im Mittelalter zum Opfer viel ... der Mensch übernahm also nur die Rolle der vorher von ihm ausgerotteten großen Weidegänger, auch ohne Mensch hätten wir also eine weiträumig vernetzte Mosaiklandschaft aus Wäldern, Buschlandschaften, Sümpfen und unterschiedlichen Steppen ... ansonsten hätts niemals die Großtrappe in Deutschland gegeben, es handelt sich bei den deutschen Beständen um ein Reliktvorkommen!

Inzwischen können bestenfalls noch Buchenwaldmonokulturen entstehen, es würde Jahrtausende brauchen, bis wieder genügend große Weidegänger in Europa eingewandert sind, um wieder die alten Mosaiklandschaften zu schaffen - einzig das Wildschwein wäre in der Lage, durch extreme Vermehrung in den Buchenwäldern dafür zu sorgen, daß diese nur existieren, bis die ersten überalterten Buchen umstürzen - und Platz machen für Neues. Da Jungbuchen bei extrem hoher Wildschweindichte, wie sie sich ohne Jagd des Menschen in Buchenwäldern einstellen würde, so gut wie nicht mehr hochkommen, hätten wir hier immerhin die Chance, irgendwann mal ne gelichtete Buchenwaldlandschaft zu haben ... diese ist jedoch immer noch extrem artenarm und bleibt es lange Zeit ... einfach, weil die großen Weidegänger fehlen, welche die Arbeit der Wildschweine vervollkommnen.

Auch der Mensch gehört seit Jahrmillionen hier in diese Landschaft ... auch er ist ein landschaftsbestimmendes Tier, ebenso wie die großen Weidegänger - nur sollte er halt endlich wieder lernen, endlich mal aufzuhören, sich mit allen Mitteln von seiner Umwelt unabhängig zu machen und großräumige Monokulturen anzulegen!

Selbst, wenn weiterhin Gesamtdeutschland eine Kulturlandschaft bleibt, ist es möglich, über freilaufende große Weidegänger mit einfachen Mitteln sehr abwechslungsreiche Mosaiklandschaften zu schaffen, wie sie vermutlich schon immer für Gesamteuropa typisch waren ... ansonsten würde es in Europa nicht so viele unterschiedliche Pflanzenarten geben, in einer Buchenwaldmonokultur kommen schließlich nur wenige Pflanzen überhaupt vor - und noch weniger Tiere! Die Eibenbestände können sich im Schatten der Buchen auch nicht mehr erholen, dazu wachsen sie einfach viel zu langsam.



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Re: Pferde auswildern

Beitrag von Rennmaus » Sa 3. Jul 2010, 19:31

Das is ja cool, von sowas hab ich noch nie gehört?! Find ich aber ne gute Alternative! Und sehr interessant zu wissen...

Weisst du ob da theoretisch jeder sein Tier reinstellen kann? Ich mein, es gibt ja unreitbare Pferde, die aber nicht schwer krank sind, sodass sie nicht jeden Tag Medizin brauchen oder so, für die wär sowas ja voll toll...

Werden die da kastriert vorher?



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Re: Pferde auswildern

Beitrag von Murx Pickwick » Sa 3. Jul 2010, 20:09

Es gibt da sehr unterschiedliche Projekte, jedes ist einmalig momentan ... meist werden alte Rassen, Koniks oder Przewalskipferde genutzt, einfach weil diese vom Aussehen her eher an Wildpferde erinnern. Dazu kommt, daß die Przewalskipferde trotz einiger Generationen in Menschenobhut immer noch als nicht domestiziert gelten und die Koniks vermutlich direkte Nachfahren der Tarpane sind mit wenig oder sogar gar keinem Anteil an Hauspferdegenen - und Tarpane gab es auch auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands!
Diese Herden sollen so naturnah wie irgendmöglich leben, dazu gehört dann auch, daß die Stuten jedes Jahr Fohlen bekommen ... genau wie in Wildpferdherden früher ja auch ... so können dann seltene, fast ausgestorbene und ursprünglich gebliebene Hauspferderassen, die Koniks und die Przewalskipferde erhalten werden, ohne daß sie sich vom Verhalten her noch mehr der Stallhaltung anpassen. Man erhofft sich dadurch ein möglichst breites Spektrum an altem Herdenverhalten erhalten zu können.

Es gibt jedoch auch Projekte, wo Wallache, Stuten oder gleichgeschlechtliche Herden im Naturschutz eingesetzt werden. Meist werden diese Pferde zeitweise genutzt, also ein paar mal im Jahr werden sie eingefangen und müssen halt vor der Kutsche oder unter dem Reiter etwas tun, manchmal jedoch dürfen sie so ihren Lebensabend verbringen. Manchmal sind das sehr gemischte Herden mit Pferden von sehr unterschiedlichen Haltern ... es geht bei solchen Projekten einzig darum, artenreiche Trittfluren zu schaffen ... fast immer handelt es sich hierbei um sehr kleine Projekte.

Ein paar Beispiele, die im Netz zu finden sind:
[url=http://www.nrw-partnerzoo.de/takhi/PDF/Heft4_2005_Reservate.pdf]Przewalskipferde auf dem Weg zur Wiedereinbürgerung – Verschiedene Projekte im Vergleich – (PDF)[/url]
[url=http://schleswig-holstein.nabu.de/naturerleben/zentren/geltingerbirk/beweidungskonzept/]Konikpferde auf der Birk[/url] - hier werden übrigens auch die Schattenseiten einer solchen Auswilderung beleuchtet, denn genau hier sind viele Fehler gemacht worden ... näheres ist im Buch giftige Gräser von Vanselow nachzulesen.
[url=http://www.wilde-weiden.de/index.php?id=512]Robuste Landschaftspfleger[/url] - Leider werden genau hier die Schwierigkeiten, die Anfangs mit den Exmoorponies auftraten, nicht mal angesprochen ...
[url=http://www.landwirtschaft-mlr.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB//menu/1063274_l1/index.html]Pferde in der Landschaftspflege[/url] - wichtige Mindestvorraussetzungen für solcherart Projekte

Die Privatpferdeinitiativen sind zumeist nicht im Internet zu finden, ich kenne keine einzige Seite von solchen Projekten. Man erfährt hier leider immer nur am Rande etwas von solchen kleinen Projekten ... die großen Projekte achten normalerweise auf ursprüngliche Rassen ... diese Pferde gelten als robuster wie Reitpferd und Co.



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